Hüllentext zur LP:
von Reinhard Kapp
Die Musik dieses Ensembles verdankt sich einer Initiative des Musikers und Musiktheoretikers Michael Kopfermann (1936–2010), der ausgehend von seinem Violoncellostudium und der Auseinandersetzung mit der damaligen künstlerischen Avantgarde auf einen eigenen Ansatz zur Tonbildung und kompositorischen Entwicklung gestoßen ist.
Die Musik wurde Mitte der 1960er Jahre konzipiert, in einer Zeit, als an verschiedenen Orten Komponisten Improvisationsgruppen gründeten: Nuova Consonanza (1964), AMM (1965), Musica Elettronica Viva (1966), New Phonic Art (1969) – die Gruppe für Experimentelle Musik Michael Kopfermann (später PHREN-Ensemble) konstituierte sich 1968 in München. Von Franco Evangelisti abgesehen, der von Haus aus zu der Generation der Serialisten gehörte, sind die meisten Mitglieder dieser bekannter gewordenen Gruppen (Cornelius Cardew, Alvin Curran, Mario Bertoncini, Vinko Globokar, Frederic Rzewski u.a.) in den 1930er Jahren geboren wie Michael Kopfermann selbst. Es waren also aktuelle Probleme und Ansätze, von denen man ausging.
Das PHREN-Ensemble hat nach und nach von einigen der damaligen Unternehmungen Kenntnis genommen und seine Position daran geschärft; beispielsweise schien das temperierte System, das für Nuova Consonanza noch selbstverständliche Voraussetzung war, nicht mehr möglich, oder die elektronischen Klänge, die damals zur Verfügung standen, wirkten zu arm für die eigene Vorstellung von Musik.
Während Musik und Theorie der Serialisten ihn mehr und mehr befremdeten, erhielt Kopfermann von György Ligeti und vor allem Mauricio Kagel wichtige Anregungen. Kagels Transición II für Klavier, Schlagzeug und Tonbänder (1958–59) thematisierte einen Grundsatz, der für Kopfermann verbindlich blieb: „Die erste Frage einer konsequenten Behandlung des Geräusches richtet sich heute darauf, die Trennung von Klang und Geräusch zu vermeiden. Ein Übergang muß etabliert werden.“ Bei Kagel bewirkt der Schlagzeuger, der ohne eigenes Instrumentarium im Klavier arbeitet, gewissermaßen eine ständig wechselnde Live-Präparation mit modifizierten, erstickten Klavierklängen – diese Flexibilisierung des Klangreservoirs verbunden mit einer Lockerung des formalen Ablaufs hat Kopfermann ebenfalls beschäftigt, den allerdings die mit dem Klavier verbundenen Fixierungen störten.
Nachdem anfangs auch mit dem Cellobogen angeregte türkische Becken eine Rolle gespielt hatten, kristallisierte sich als der geeignete Klangbereich jener der traditionellen (vor allem tieferen) Streich- und bestimmter Blechblasinstrumente aus der Militär- und Volksmusik (Flügelhorn, Helikon) heraus. Die Streichinstrumente werden mit dickeren Darmsaiten bespannt und in ungewöhnlichen Intervallen gestimmt, bei den Blasinstrumenten besteht die Präparierung vor allem im Vorschalten eines längeren Rohrbogenstücks; generell werden die verschiedensten auch ungebräuchlichen Spieltechniken verwendet.
Es geht in dieser Musik nicht um sogenannt saubere Töne, sondern um solche, in denen prinzipiell ein Geräuschkern enthalten ist, sodann nicht um distinkte, etwa systematisch vorkonzipierte Töne, sondern um (ohne gleichmäßige Glissandi) ineinander überleitbare körperhaft individuelle Klänge.
Keinerlei schriftliche Aufzeichnung wird verwendet; Improvisation wird als kollektive Aufgabe im Sinne der Tradition der westlichen Polyphonie verstanden. (Kopfermanns Erfahrungsbasis war die klassische Kammermusik, aber natürlich spielte irgendwo im Hintergrund auch der Free Jazz mit.) Die unterschiedlichen und unersetzbaren Beiträge der Ensemblemitglieder erlauben eine gewisse Selbständigkeit der aufeinander reagierenden und miteinander kommunizierenden Stimmen, bei gemeinsamer Beachtung der möglichen Zusammenklänge und harmonischen Abfolgen sowie strikter Vermeidung regulärer Beats, aber auch den Wechsel und die zeitweilige Verdichtung verschiedenster Empfindungszustände.
In Proben werden keine bestimmten Stücke vorbereitet, wohl aber sich stellende Aufgaben bearbeitet; das Abhören und die Diskussion der Aufnahmen machen einen Großteil der Arbeit aus. Da von Anfang an Proben und Konzerte mitgeschnitten wurden, können die Entwicklung des Konzepts und die Phasen der Realisierung verfolgt werden: der (nicht nur personell bedingte, sondern auch als Ausdruck eines Wandels der Interessenlage zu verstehende) Wechsel der Besetzung (Anzahl und Typus der Mitwirkenden, Wahl der Instrumente) sowie die Verlagerung des Interesses auf den Ebenen des Kontrapunkts, des Klangspektrums, des Grundcharakters und der Formbildung.
Die Gruppe hat sich aus monodischen Anfängen und Versuchen zu zweien allmählich bis zur Sextettformation erweitert, ist aber immer wieder auch zur Duobesetzung mit wechselnden Instrumenten zurückgekehrt. Die Weiterführung des Ensembles nach Kopfermanns Tod versteht sich als Chance zur Weiterentwicklung und als Test für die Tragfähigkeit des Konzepts.
by Reinhard Kapp
Translation provided by Peter Gebert
The music of this ensemble owes to an initiative by musician and music theorist Michael Kopfermann (1936–2010). On the basis of his violoncello studies and investigations of the artistic avant-garde at the time, Kopfermann came upon an approach to tone production and compositional development of his own.
The music was conceived in the middle of the 1960s, at a time when composers were founding improvisational groups at various locations: Nuova Consonanza (1964), AMM (1965), Musica Elettronica Viva (1966), New Phonic Art (1969) – the Group for Experimental Music Michael Kopfermann (later PHREN Ensemble) was established in Munich in 1968. Apart from Franco Evangelisti, who naturally belonged to the generation of the serialists, most of the members of those eventually better known groups (Cornelius Cardew, Alvin Curran, Mario Bertoncini, Vinko Globokar, Frederic Rzewski a.o.) were born in the 1930s, like Michael Kopfermann himself. So the problems and approaches that served as a starting point were contemporary.
Bit by bit, the PHREN Ensemble took note of the activities at the time and refined their position in relation to them; for example, the tempered system, a premise still taken for granted with Nuova Consonanza, seemed no longer an option, and the electronic sounds available at the time appeared too primitive for their idea of music.
While becoming more and more alienated from the music and theory of the serialists, Kopfermann drew valuable inspiration from Györgi Ligeti and even more so Mauricio Kagel. Kagel's Transición II for piano, percussion and tapes (1958–59) brought up a guideline which for Kopfermann remained authoritative: “The first question of a rigorous treatment of noise today aims at avoiding a separation of tones and noises. A transition must be established.” In performance, the percussionist produces something like a continuously changing live preparation with modified, stifled piano sounds as he works inside the piano, rather than with his own instrument – this flexibilisation of the tone reservoir, in combination with a liberalization of the formal process, was also preoccupying Kopfermann, although he didn't like the piano-related restrictive specifications.
After turkish cymbals stimulated by cello bow having also played a role initially, it became evident that the suitable range of sound would be that of traditional (especially deeper) string and certain wind instruments from military and folk music (flugelhorn, helicon). The string instruments are strung with thicker gut strings and tuned in unusual intervals while for the wind instruments, preparation mainly consists of fitting a longer elbow piece; in general, many different and also uncommon playing techniques are used.
What this music is concerned with are not so-called clean tones but rather those that basically contain a noisy element. Furthermore, it focuses not upon distinct tones, such as ones that are systematically pre-conceived, but sounds that can be transitioned between (without smooth glissandi) that are substantially individual.
No use whatsoever is being made of written notes; improvisation is understood as a collective exercise in the sense of the tradition of Western polyphony. (Kopfermann's basis of experience was classical chamber music, but free jazz was of course also playing some part in the background.) The different and irreplaceable contributions of each of the ensemble members allow for a certain autonomy of the voices as they respond to and communicate with one another, everyone giving attention to possible sound combinations and harmonic sequences, as well as strictly avoiding regular beats, but also allow for the change and the temporary concentration of all kinds of moments of sensation.
During rehearsals no specific pieces are prepared, but instead present challenges are worked on; listening to and discussing the recordings make up most of the work. As rehearsals and concerts were recorded from the beginning, the development of the concept and the phases of the realisation can be traced: the changes (not only contingent upon personnel, but also understood as expressing change of interests) of line-up (number and type of participants, choice of instruments) as well as the shifts of interest on the levels of counterpoint, sound spectrum, fundamental character and form.
The group gradually expanded from monodic beginnings to various approaches in twos, and eventually to a sextet formation, but it also kept returning to duos of varying instruments. The continuation of the ensemble after Kopfermann's death will be a chance for further development and a test for the sustainability of the concept.